Siebeneinhalb Jahre London haben Daniel geprägt – optisch und klanglich. Das englische „you know“ bringt der 26-jährige Heavy Metaller in deutschen Sätzen mit „weißt du“ unter. Für einen Auswanderer, der tagtäglich Englisch spricht, nichts Außergewöhnliches. Für die Musik nach London zu ziehen – schon eher. Dass Daniel damit seinen Lebensunterhalt verdient – noch mehr. „Ich will Musiker werden“ klingt schließlich ähnlich utopisch wie eine angestrebte Karriere als Schauspieler oder Model. „Ich bin ausgewandert, weil es 2008 in Deutschland keinen geeigneten Studiengang in Richtung Popmusik gab. Die Musikszene in Bremen ließ auch zu wünschen übrig. Damit war klar, dass ich ins Ausland muss.“
Studie: Wer auswandert und warum
So wie Daniel machen es viele Deutsche. Seit einer Studie aus dem Jahr 2015 steht fest: Deutschland ist ein Auswandererland. Jedes Jahr zieht es 150.000 Deutsche ins Ausland. Warum? Die meisten nannten neue Erfahrungen, Beruf oder den Partner beziehungsweise Familie als Gründe auszuwandern. Die meisten Auswanderer kehren aber nach einigen Jahren wieder zurück. Für die Rückwanderung zählen Partner/Familie, Beruf und Unzufriedenheit mit dem Leben im Ausland als Top-Gründe.
Vom 1116-Einwohner-Kaff nach London
Bei Daniel waren es Studium und Karriere – für die Musik verließ er das 1116-Einwohner-Kaff Hassendorf in der Nähe von Bremen, um in London seiner Berufung nachzugehen. Mit 13 kam er zur Musik; Bands wie Iron Maiden, Korn und Arch Enemy inspirierten ihn, selbst Gitarre zu spielen: „Diese Bands haben mich dermaßen vom Hocker gehauen – es war vergleichbar mit dem ersten High einer Droge.“ Und zu dieser wurde für Daniel die Musik. In der Schule war er Gitarrist einer Cover-Band. Mit seinen besten Kumpels spielte er unter anderem Songs von Deep Purple, Black Sabbath und Metallica. Als Bühne für den ersten Auftritt hielt ein Schulhof im Bremer Stadtteil Findorff her. Auch die darauffolgenden Jahre prägten ihn: Daniel spielte in verschiedenen Rock- und Metalbands, schrieb eigene Songs und brachte den ein oder anderen Live-Gig über die Bühne.
Nach dem Abitur kam dann die Frage nach der Zukunft: „Was mir früher immer Angst gemacht hat, war die Aussicht, in Deutschland Karriere zu machen und dann nie international Erfolg zu haben. Ich wollte in eine Musikmetropole. Die USA waren zu teuer, also war London die erste Wahl.“ Gesagt, getan: Die Auswanderung lief laut Daniel reibungslos – was nicht zuletzt daran lag, dass England Mitgliedstaat der Europäischen Union ist. „Ich brauchte also kein Visum, weil ich in der EU geblieben bin. Ich musste mich nur in Deutschland abmelden und in London meinen Wohnsitz anmelden. Dann musste ich mich noch um Dinge wie ein Konto und eine Steuernummer kümmern. Bürokratisch gesehen gibt es da aber keine Unterschiede zu Deutschland." Als Ausländer einen Studienplatz zu bekommen, sei ebenfalls kein großer Akt gewesen. Und die Musikkarriere?
Neben seinem Studium an der Tech Music School versuchte sich Daniel von Beginn an in verschiedenen Bands unterschiedlicher Stilrichtungen. Mittlerweile spielt und schreibt er nicht nur selbst, sondern produziert im Studio auch Songs für andere Musiker. „Zurzeit bin ich Gitarrist bei Monument und CalatrilloZ, beides Londoner Metal-Bands. Außerdem arbeite ich viel als Session-Gitarrist für 2 Cards of 25, Benjamin Bloom und Indya. Inzwischen kann ich von der Musik leben, viel sparen ist aber nicht drin.“ Zu diesem Zeitpunkt hat Daniel mitunter an 20 Alben mitgewirkt und kann auf Gigs in zahlreichen Ländern sowie Aufnahmen mit Richie Faulkner von Judas Priest und Eric Forrest von Voivod zurückblicken.
Wer auswandert, hat auch Heimweh
Auch wenn Daniel schnell zurück in die Heimat fliegen kann, packt ihn bis heute ab und zu das Heimweh. „Ich fühl mich erst seit zwei Jahren in London zuhause. Früher bin ich im Schnitt alle sechs Monate umgezogen, war viel im Ausland für Konzerte und habe bei Freunden auf dem Sofa geschlafen, bis ich etwas Neues fand. Seit ich mit meiner Freundin zusammen lebe, ist das anders.“ An Deutschland vermisse er das Essen, die Luft, die Leute und das Tempo des Lebens, wie er es so schön nennt. „Ich werde immer noch nostalgisch, wenn ich nach einem Jahr im Bremer Hauptbahnhof bin, meine alten Leute sehe und mir der Duft meiner Schulzeit durch die Nase zieht, wenn ich am Bäcker vorbeilaufe.“
Dass Daniel eines Tages wieder nach Deutschland zurückkehren wird, steht für ihn fest. London sei in seinen Augen nicht der richtige Ort, um Kinder groß zu ziehen. Trotzdem habe er die Auswanderung nie bereut: „Egal woher man kommt oder wie intelligent man ist; wenn man nicht mal aus seiner eigenen Schuhkiste aussteigt und um sich schaut, verpasst man so viel vom Leben.“